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Altwerden und Alt-Sein

  • Matthias
  • vor 6 Tagen
  • 2 Min. Lesezeit

In ihrem letzten Brief an Uwe Johnson schreibt Hannah Arendt am 23. August 1975 (bevor sie im Dezember desselben Jahres starb):

"... Zum Arbeiten bin ich diesmal nicht recht gekommen, teils aus Faulheit und Genuss-Sucht, teils wegen Besuch, und weil eben Freunde unerwartet an diesem und jenem erkranken. Mir geht es gut und ich geniesse, im Unterschied zu den meisten meiner Freunde, nach wie vor das Alt-Sein. Dass es endlich, wie ich Ihnen vielleicht schon mitteilte, ein Ende mit dem Werden (Werde der Du bist) hat und man ruhig sein kann, der man geworden ist. Anders ausgedrückt, im Alter ist das Laster nicht nur, wie bekannt, der Geiz, sondern auch der Ehrgeiz. Kurz, sofern ich mir nicht den Kopf über meine Urteilskraft zerbreche und mich über Herrn Kant freue, was ich eigentlich soll, denke ich gern über das Altwerden (doch ein Werden?) nach und wundere mich, dass es seit Cicero’s De Senectute nichts Vernünftiges darüber gibt." ³


Die Anmerkung des Herausgebers des Briefwechsels zwischen Arendt und Johnson dazu:

³ Mit der Erinnerung an diese letzten Briefzeilen schließt Uwe Johnsons Nachruf auf Hannah Arendt: »Ich habe ihr zu danken für das, was sie mir gezeigt hat an Benehmen gegen Menschen, gegen das Alleinsein, gegen das Alter. Was sie mir schreibt in ihrem letzten Brief im August, es gehört zu ihr, aber ich bin doch dankbar und froh darüber, dass sie sagen konnte, sie geniesse nach wie vor das Alt-Sein. Es hat ein Ende mit dem Werden, und sie wundere sich, dass es seit Ciceros De Senectute nichts Vernünftiges darüber gebe. So war sie einverstanden mit ihrem Tod, wie jeder von uns einverstanden sein soll mit dem eigenen und den des anderen hinzunehmen sich weigert.«


In den 1920gern, als sie vom Alt-Sein noch weit entfernt war, verbrachte Hannah Arendt einige Zeit in meiner Stadt Freiburg. Vielleicht finde ich ja einige ihrer Gedanken in den Gassen, in denen sie sich im Ritzenmoos der Pflastersteine niedergelassen haben, um zu bleiben über Jahrhunderte hinweg, und um aufzusteigen ab und an in Berührungen mit Spaziergängern des offenen und weiten Geistes.

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Comentarios


Autor von Hirnstromern

Matthias Wagner - masaihtt@posteo.de

menschliche würde orthopädie des aufrechten gangs also kein gekrümmter rücken vor königsthronen nimm deine füße unter die arme und lauf cry baby nur der frieden ist es mein sohn wofür wir leben die beherrschung der natur ist gekoppelt an die verinnerlichte gewalt des menschen über den menschen gekoppelt an die gewalt des subjekts über seine eigene natur you can go all around the world trying to find something to do with your life baby when you only gotta do one thing well

Aus Wolkenbruch

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