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Eine etwas grimmige Selbstreflektion: warum ich nicht mehr schreibe

  • Matthias
  • 13. Aug. 2021
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 8. Nov. 2024

Als ich vor einigen Tagen von Knausgards Im Sommer aufschaute am frühen Morgen und über die Weite des Bodensees blickte, tauchte wieder einmal die Frage in mir auf, warum ich nicht mehr schreibe. Tiefhängende, dunkle Himmelsgebilde zogen seit Tagen schon von Südwest nach Nordost, immer wieder mit Wolkenbrüchen im Schlepptau in einem bis dahin kühlen Sommer, mit Blitz und Donner und mit Hagel. Etwas weiter unten in Europas überhitztem Süden und auch in der Türkei zerstörten derweil Flammen Landschaften und Menschen verloren ihre Bleibe und ihr Hab und Gut. Warum schreibe ich nicht mehr? Ich meine nicht das Schreiben von Tagebüchern oder von solch kurzatmigen Blogeinträgen, ich meine nicht das Erschaffen kleiner Skizzen einer Kurzgeschichte in Alibifunktion. Ich meine das größere Schreiben, das eine Vision besitzt, das zu einer einnehmenden, gestaltenden Arbeit wird und herausfordernd an Grenzen geht und weit darüber hinaus fliegen kann, im Geiste, der sich in einem berauschenden Transformationsprozess hin zur Materie aus geschriebenen Wörtern manifestiert, hin zu dem kleinen Wunderwerk, genannt Buch.

Wenn ich so darüber nachdenke, kommt mir ein Bild in den Sinn, das Max Frisch 1973 in seinem Berliner Journal mit Worten zeichnet, als er wie immer selbsthinterfragend und zweifelnd seine Schaffenskraft in Frage stellt: Der Wärter in einem Leuchtturm, der nicht mehr in Betrieb ist; er notiert sıch die durchfahrenden Schiffe, da er nicht weiß, was er sonst tun soll. Es scheint so zu sein, als hätte ich den einstig kreativen Antrieb, eigene, weitläufigere Sätze zu formen und eigene Buchwelten zu erschaffen, schon aufgegeben, abgegeben an die stets windig und findig ablenkenden, die geistige Beweglichkeit unterminierenden Reize der Tablets und Smartphones. Und auch das passive Hingeben an die Faszinationen des Lesens behält die Überhand: im Zweifelsfalle greife ich lieber zum Buch als zum Stift. Warum schreibe ich nicht mehr?! Was geschieht, wenn ich ab und an diese Frage zulasse? Scham taucht auf: ich schäme mich ob meiner Faulheit und geistigen Trägheit, die Fähigkeit und Muße verkommen lassen. Und resigniert leiser Ärger bedrängt (leise deswegen, weil laut etwas durchstoßen könnte): wenn halbherzige Wiederbelebungsversuche schneller enden als der Anflug von Impulsen und Ideen tiefgreifende Bewegung initiieren könnte. Und da ist ein Fakt, der sich nicht wegdenken lässt: eine leidenschaftlich aufrechterhaltende und arbeitsam ausdauernde Energie ist mir wesenshaft nicht inne - ab und an flammt es hoch hinauf, doch dann erkaltet es oftmals in einem zu frühen Augenblick oder wird flüchtig, dann glimmt es oftmals nur noch und reicht meist nicht für ein ausdauerndes Lodern. Im existentiellen Sinne kann ich sehr leidensfähig sein sein, und im Dasein für meine Kinder gibt es keine Grenze für Ausdauer und Verantwortung, doch beim konsequenten Entwickeln und Gestalten selbstfürsorgender Notwendigkeiten und beim Entfalten langanhaltender, kreativer Mußen hemmen listige Trägheitsstoffe den fließenden Übergang zwischen den relevanten Synapsen. Den Weg, parallel zum Alltag, hin zu einem professionellen Schriftsteller, sah ich deswegen nie, zu sehr war und ist er versponnen in einem angefüllten Sein - denkt man so oft, denke ich, doch weiß ich auch: ich hätte es in der Hand, dieses fast fatalistisch konjunktivistische Ausgerede mit einem einfachen Aufruf auszuhebeln: setze andere Prioritäten und tu es! Ach, wäre es doch tatsächlich so einfach. Seltene Male nehme ich Wolkenbruch zur Hand und blättere darin. Frage mich dann, wie ich in einem langen, intensiven Prozess gepaart mit dem Flow des freien Schreibens diesen Roman tatsächlich zu Stande gebracht habe. Werde ein wenig stolz, doch zugleich merke ich: das liegt zu weit zurück, als dass Stolz ein Antrieb sein könnte, im Stolz sich wälzen bringt mir keine Energie im Hier und Jetzt, es lässt mich eher selbstgefällig in Tatenlosigkeit zurücklehnen. Also: was bräuchte es sonst? Was würde mich wieder zum Schreiben bringen?! Doch diese Fragen beantworte ich, wenn es vielleicht nie so weit ist...

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コメント


Autor von Hirnstromern

Matthias Wagner - masaihtt@posteo.de

menschliche würde orthopädie des aufrechten gangs also kein gekrümmter rücken vor königsthronen nimm deine füße unter die arme und lauf cry baby nur der frieden ist es mein sohn wofür wir leben die beherrschung der natur ist gekoppelt an die verinnerlichte gewalt des menschen über den menschen gekoppelt an die gewalt des subjekts über seine eigene natur you can go all around the world trying to find something to do with your life baby when you only gotta do one thing well

Aus Wolkenbruch

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