Sitzend von einem großen Stein aus, mitten auf der Weide…
- Matthias
- 2. Okt. 2011
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Nov. 2024
Es gibt, zumindest bei mir, eine Schwelle im Hirn, über die hinaus eine hingebungsvolle, sehr konzentrierte Aktivität des Geistes sich in die Träume einfließen lässt. Vor vielen Jahren zum Beispiel, als es eine Phase gab, in der ich unmäßig viel Schach spielte, nahmen die Protagonisten eines vergangenen Tages in den Bildern des Halbschlafes bis in die Zeit der Träume hinein die Gestalt von Schachfiguren an; und der Rahmen, innerhalb der sich dieser Tag bewegte, war der eines Schachbretts. Bisweilen hatte ich da das Gefühl, verrückt zu werden. Oder der ungebrochene Genuss von Daily-Soaps (ich oute mich jetzt nicht darüber, welche genau): hin und wieder mischten sich deren dürftige Figuren unter die realen Darsteller eines Traumes. Und so ist es auch in diesen Wochen: wenn ich jeden Abend ausgiebig in den Tagebüchern von Victor Klemperer lese, oder in Kempowskis Echolot, geschieht es, dass ich in den Träumen Teil dieser Zeit werde. Dann empfinde ich mehr als beim Versuch des empathischen Lesens die Übelkeit und den Widerwillen, nun schon über Wochen nur alte, ranzige Kartoffeln essen zu müssen, ich stehe an meinem Fenster, spähe angstvoll durch den Spalt des Vorhangs: es war nur der Handwerkerwagen, nicht die Gestapo! Manches Mal wache ich auf (ein Privileg des Träumenden), weil ich abgeführt werde: sie haben mein Schreiben in den Ritzen des Parketts entdeckt. Ab und an bin ich auf der Seite der Bösen, doch das geschieht meist nur mit einem düsteren, schlechten Gewissen angehaftet – zu sehr, bis in die Träume hinein, ist in unseren Nachkriegsgenerationen (zumindest in weitesten Teilen davon, so hoffe ich) das Fühlen, die Gedanken tief verinnerlicht: so nie wieder!
Wenn ich so träume, dann ist es meist ein Signal, für ein paar Tage die Tagebücher beiseite zu legen und Leichteres zu lesen… und Kraft der Distanz von vergangenen sieben Jahrzehnten reinigen sich die Träume zügig wieder hin zu Alltäglichem.Was bringt dir das alles, werde ich manchmal gefragt, dieses Wühlen in alten Zeiten, gibt es im Hier und Jetzt nicht genug zum Hinterfragen, oder: verdirbt dir es dir nicht das Schöne?! Ich kann es nicht wirklich genau sagen, nur soviel: es gehört zusammen und es bedrängt mich immer wieder, es betrifft mich, macht mich betroffen und auch dieses Traumempfinden möchte ich bewahren. Und wir sind ja befähigter Mensch genug, um auch wieder trennen zu können, zwischen Vergangenem und der Schönheit des Schauens, sitzend von einem großen Stein aus, mitten auf der Weide…
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