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Vogelnähe

  • Matthias
  • 16. Mai 2012
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 8. Nov. 2024

Es ist sehr schön, diese nahen Vögel hier bei uns zu haben. Die Meisen, Schwalben, Stare, Spechte, Elstern…

Wie war das eigentlich mit den Vögeln, als ich in den Städten lebte, über vierzig Jahre lang? Wenn ich weit zurückdenke, in meine Kindheit und Jugend, kommen mir zuerst die unzähligen Spatzen in den Sinn, die in regen, flinken Grüppchen die Bäume und Büsche unserer Straßen beherbergten, einer sah aus wie der andere. Hin und wieder streuten wir Brotkrumen hinab und freuten uns an den zwitscherreichen Pickvollführungen.Dann war da Pipping. Der zahmste Wellensittich weit und breit – sein Käfig stand immer offen. Er kam uns Kindern durch die Wohnung entgegengeflogen, wenn wir aus der Schule kamen, saß beim Essen mal neben diesem Teller mal neben jenem und knabberte, was er eben abbekam. Abends lag er wohlig auf der Bettdecke meiner Schwester und kuschelte sich mit ihr darunter, wenn ihm danach war, bis er schließlich doch zu seinem Käfig den Nachtgang antrat (den Nachtflug anschwebte?) Hin und wieder saß er mit uns auf dem Balkon, ohne großes Interesse an der weiten Welt zu bekunden. Ich erinnere mich an einen Traum: Pipping saß auf dem hohen Baum gegenüber des Balkons auf der anderen Straßenseite und war starr vor Angst. Keiner konnte ihn dazu bewegen, zurückzufliegen und keiner schaffte es, zu ihm empor zu klettern. Irgendwann nach Tagen fiel er erschöpft vom Baum und war tot. Im wirklichen Leben genoss er in vollen Zügen das Dasein in unserem Zuhause und erst nach einem Umzug wurde er in hohem Alter Opfer einer Nachbarkatze, er lag zerrupft in unserem Garten. Entweder war er nach draußen geflogen oder die Katze kam herein, wir haben es nie in Erfahrung gebracht.

Später, mit zunehmender Bewusstheit waren die wunderbaren Stimmen der Amseln der Trigger für Wohlfühlmomente: in der Frühe, bevor die Stadt in ihre treibenden Gänge kam, und vor allem an den ersten warmen und längeren Abenden nach unwirtlichen Wintern.Und dann dieses Warten und Staunen hoch über der Stadt auf die Krähen-schwärme: die ersten Kundschafter flogen aus der Rheinebene hinter dem Schönberg hervor und kaum später: der in den Himmel hinein inszenierte, für diesen schwebenden Augenblick wundervoll stille Geniestreich der Natur…Und natürlich die Tauben. Auszug aus „Wolkenbruch“:Vater hasste Tauben, diese Viecher sind doch keine Tiere mehr, rief er dann immer, sie sind schon wie die Menschen, laufen zwischen ihren Füßen herum, bleiben bei Rot an der Ampel stehen, und kommen sie von rechts aus irgendeiner Gasse angetippelt, musst du eine Vollbremsung mit dem Fahrrad machen, weil sie nicht erschreckt davon fliegen, nein, sie glauben sich im Recht, und während du über den Lenker auf den Asphalt knallst, laufen sie mit hochgerecktem Schnabel und Blick in eine andere Richtung an dir vorüber, picken weiter, als wäre nichts gewesen.

In der Stadt war das Erleben eines Vogels meist von Distanz getragen (Pipping war die Ausnahme, doch im Grunde war er nicht wirklich ein Vogel), aus der Ferne beobachtend, beiläufig, gedankenlos selbstverständlich und unachtsam nur im Unterbewusstsein wahrnehmend, oder es war ein manchmal ausgepacktes Instrument, um ein kurzes Wohlbefinden zu empfinden in dem Glauben, man nähme in jenem Augenblick Verbindung mit der Natur auf.

Und jetzt, in diesem anderen Leben, hier auf dem Land, in den nun endlich grüngewordenen, kleinen Tälern zwischen den schwarzen Wäldern, jetzt sind uns die Vögel nah, so nah, als wären sie Teil der Familie, oder, aus einer weniger menschenzentralistischen Sichtweise: als wären wir Teil der Familie– der Meisen, die jeden Morgen hinterm Schlafzimmerfenster ihre Kunststücke an den Maiskugeln vollführen: wenn wir uns aus den Betten blättern und sie nah am Fenster begrüßen, dann bleiben sie, blicken uns an und frühstücken weiter. Im Schauen besonders eingenommen sind wir von den jungen Meisen – für solche Geschöpfe müssen die literarischen Unwörter erfunden worden sein: süß, niedlich, goldig.– der Schwalben, die uns in der Stadt nur im Hoch- oder Tiefflug als Wetterbericht dienten: jetzt sitzen sie über unseren Köpfen im Stall und schauen uns fragend an: ob das wohl ein guter Platz ist zum Nisten? Klar, sag ich, macht ruhig, wenn ihr was braucht, sagt Bescheid. Und danach das Nestbauschweben durch den Stall, hinaus, hinein, ein schöner Klang, und manchmal sitzt das Päarchen draußen auf dem Zaun, Verschnaufpause, ich trete näher, und ein warmes Pulsieren breitet sich in mir aus: sie bleiben sitzen. Und ich freue mich darauf, wenn sie uns ihren piepsenden Nachwuchs vorstellen, und auf dessen erste Flugstunden. In jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, denke ich jedes Mal, und wir schützen diesen Zauber, auch wenn unsere Katzen sich ihrer Beute beraubt fühlen.– der Stare, deren sich sammelnden Massen am Rande der Städte ich nur als lebende Kunstinstallationen am Himmel in Erinnerung habe: hier nisten sie unter den tief fallenden Dächern und ihr Singen begrüßt uns, wenn wir in die Scheune kommen, um Heu in den Stall zu werfen. Und lustvoll fliegen sie schnell und behend unter den Dächern hervor und breiten zum Putz ihr schönes Gefieder aus in den Ästen der hohen Linde, erst hier habe ich deren schöne Zeichnungen zum ersten Mal bewusst gesehen.– der Elstern, die meist in einer pubertären Gang zu siebt oder acht hier auftreten: randalieren immer vor dem Küchenfenster, machen sich dort auf dem Katzenbrett über das Katzenfutter her und verteilen die Schalen und Teller hinterm Haus; hin und wieder sitzen sie auf den nachsichtigen Eseln und rupfen das Fell zu unvorteilhaften Frisuren. Wenn wir sie deswegen rügen, ernten wir nur schäckerndes Gelächter. Dann rotten sie sich auf den Weiden oder in den Bäumen zusammen, und man kann davon ausgehen, dass sie wieder was im Schilde führen.Und dann sind da noch die Eichelhäher, die hin und wieder in unregelmäßigen Abständen uns besuchen und vor dem Fenster auf ein paar Häppchen warten, im Baum mit doch vorsichtigerem Abstand begutachtet Herr Specht das ganze Treiben, manches Mal watschelt das Entenpaar vom weiter unten gelegenen Dorfteich am Bach entlang zu uns, selten verirren sich ein paar abenteuer-lustige Reiher auf den Feldern und über allem fliegen die Falken, Milane und Bussarde, mit denen ich gerne am Abend nach verbrachtem Tag kreisen und einen weiten Blick auf die Dinge bekommen würde.

Ja, es ist sehr schön, nah bei diesen Vögeln zu sein…


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Autor von Hirnstromern

Matthias Wagner - masaihtt@posteo.de

menschliche würde orthopädie des aufrechten gangs also kein gekrümmter rücken vor königsthronen nimm deine füße unter die arme und lauf cry baby nur der frieden ist es mein sohn wofür wir leben die beherrschung der natur ist gekoppelt an die verinnerlichte gewalt des menschen über den menschen gekoppelt an die gewalt des subjekts über seine eigene natur you can go all around the world trying to find something to do with your life baby when you only gotta do one thing well

Aus Wolkenbruch

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